Die goetheanistische Spielgemeinschaft ODYSSEE Theater

Aus Odysseetheater
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Rudolf Steiner (1861-1925)
Karl Rössel-Majdan (1916-2000)
Michail A. Cechov (1891-1955)
Zeichnung von Jurij A. Zavadskij 1920

ODYSSEE - das ist seit Herbst 1996 der neue Name einer verschworenen Spielgemeinschaft, die schon auf eine längere Tradition zurückblicken kann. Herausgewachsen ist sie aus der Spielgemeinschaft "Epidaurus" des privaten Goetheanistischen Konservatoriums, wo sich viele unserer Mitglieder ihr schauspielerisches Können erarbeitet haben. 1995 arbeiteten wir vorübergehend mit der Theatergruppe Carrousel zusammen.

Grundlegend für uns ist die von Rudolf Steiner inaugurierte und von Karl Rössel-Majdan und Michail Cechov weiterentwickelte Sprachgestaltung, die uns von systematischen Lautübungen, über Rezitation und Gestik, bis hin zum Rollenspiel leitete und zu einem tieferen Erfassen des Sprachwesens führte. Das Wort, die lebendig erlebte und gestaltete Sprache ist seitdem die zentrale Lebensquelle unserer Probenarbeit.

Gelingt es, den Klang, die Formkraft und den Rhythmus der Sprache in bewegte farbenreiche Bilder zu verwandeln, so entsteht ein Schauspiel, das im unmittelbaren Hören und Schauen verstanden werden kann. Das Übersinnliche, also das, was geistig dem Stück zugrunde liegt und seelisch die handelnden Charaktere bewegt, offenbart sich augenblicklich und ohne weiteres Nachdenken als sinnlich erlebbares Phänomen im Klang der Sprache und der Bühnenmusik und in den bewegten Farben und Formen des Bühnengeschehens, in der Bühnenarchitektur, der Dekoration, in den Kostümen und Lichtstimmungen.

In der Kunst, wie sie unsere Zeit unausgesprochen fordert, muss sich der Sinn den Sinnen eröffnen, aber nicht durch bloße detailverliebte Naturtreue, sondern nur so sparsam skizzenhaft angedeutet, dass, frei von allem nur zufälligen Ballast, umso stärker die exakte sinnliche Phantasie angeregt wird, durch die sich erst das Wesentliche, das eigentlich geistig Wesenhafte für den beseelten Blick enthüllt - das ist der Kern der goetheanistischen Methode. Bloß intellektuell einen Inhalt oder gar eine belehrende "Botschaft" dem Publikum vermitteln zu wollen, ist unkünstlerisch und für Zuschauer und Darsteller gleichermaßen unbefriedigend. Der verborgene, tiefere Gehalt eines Schauspiels will zuallererst sinnlich angeschaut und völlig vorurteilsfrei miterlebt werden. Nur so entsteht eine gesunde, reichhaltige Basis für ein späteres, durchaus gewünschtes Nachdenken.

Wie man die dramatische oder humoristische Handlung dem Publikum nahebringt, muß den Künstler vor allem interessieren. "Das was bedenke, mehr bedenke wie" sagt schon Goethe. Von bloß intellektualisierender, "kritisierender" Theaterarbeit distanzieren wir uns ausdrücklich. Statt zu interpretieren und zu kritisieren, wollen wir lieber charakterisieren - urteilen soll der Zuschauer selbst nach seinem eigenen freien Ermessen! Dem herkömmlichen Regietheater erteilen wir damit eine schroffe Absage. Die Schauspieler selbst, mit all ihren individuellen Stärken und Schwächen, machen das Theater lebendig und lebensecht, wenn ihnen der nötige kreative Freiraum eröffnet wird.

Unsere Inszenierungen gründen auf dem inspirierte Wechselspiel der einzelnen Darsteller, die die reine Freude am Spiel beflügelt und belohnt, und dem Regisseur, der fast immer auch aktiver Mitspieler ist, obliegt es nur, da und dort Anregungen zu geben und die Arbeit der einzelnen Darsteller zu einem ausgewogenen und authentischen Gesamtbild zu integrieren, das dem Werk gerecht wird. Er soll nur der Geburtshelfer sein für das Werdende, das im schöpferischen Tun durch die gemeinsame lebendige Auseinandersetzung mit dem Stück allmählich heranreift. Derart ist die Inszenierung auch niemals fertig, niemals endgültig abgeschlossen, sondern was mit der Premiere erst keimhaft beginnt, hat die Chance, sich mit jeder weiteren Aufführung weiter zu verändern und zu entfalten.

Befruchtend für unsere Arbeit war stets das Menschenbild Rudolf Steiners, das sich seit langen Jahren auch in der Waldorfpädagogik erfolgreich bewährt und den Menschen vor allem auch als ein seelisch-geistig reich differenziertes Wesen anzuschauen lehrt. Dementsprechend kann sich das Theater nicht darin erschöpfen, äußere Verhältnisse und Ereignisse abzubilden; vielmehr muss die oft geheimnisvoll verborgene seelisch-geistige Innenwelt sichtbar gemacht werden. Allzu realistische Bühnendekorationen erübrigen sich daher meist; fließende Stoffe, charakteristische Lichtstimmungen und einfache, aber stilgerechte Kostüme unterstreichen die Darstellung - was auch unseren doch recht beschränkten finanziellen Mitteln wohltuend entgegenkommt.

Lässt man sich darauf ein, die Innenwelt der dramatischen Personen zu erforschen, so begibt man sich auf eine Irrfahrt mitten durch die Tiefen und Höhen der menschlichen Seele - insofern mag unser neuer Name "Odyssee", wohl gerechtfertigt erscheinen. Durch "Scylla" und "Charybdis" hindurch gilt es dem eigentlich geistigen Kern des Menschen, seinem verborgenen Selbst näher zu kommen. Jede Rollenarbeit wird damit auch zu einem kleinen Stück - heilsamer - Selbsterkenntnis, und Hand aufs Herz - haben wir heute nicht alle ein bisschen Therapie nötig? Dieser therapeutische Ansatz lag jedenfalls schon dem antiken Drama zugrunde, dem wir uns ebenso verbunden fühlen wie der klassischen Dichtung, - ohne deswegen die vielen wertvollen Früchte moderner Kunst ignorieren zu wollen. Im Gegenteil - nicht einen "verstaubten" oder gar "reaktionären" Weg wollen wir gehen; vielmehr suchen wir stets, wenn auch noch so bescheiden, einen neuen Aufbruch, der dem vollen Menschenwesen auch in unserer Zeit gerecht wird.

Im gemeinsamen Erleben mit unserem Publikum wollen wir so die bedeutendsten Werke der Weltliteratur, Komödien und Tragödien, lebendig, zeitgemäß und werkgerecht erschließen, eingedenk dessen, was Rudolf Steiner einmal sagte anlässlich einer Aufführung von Édouard Schurés Die Kinder des Luzifer:

"Die Hauptsache, das dürfen wir nicht vergessen, sind nicht diejenigen, die darstellen, nicht diejenigen, die die Dinge machen [...] Die Hauptsache sind die Zuhörer und Zuschauer. Und die Hauptsache ist, daß durch die Seelen und durch die Herzen der Zuschauer ein gemeinschaftliches Leben geht; ein Leben, das diese Herzen fähig macht, jene geheimnisvollen Strömungen, die von dem Werke ausgehen, nicht nur zu empfinden, sondern in Gemeinschaft, in innerer Harmonie zu empfinden." (Lit.: GA 113, S 13)

Unserem Publikum wünschen wir jedenfalls die gleiche Freude am lebendigen Theaterspiel, die auch wir empfinden - dann hat sich unsere "Odyssee" gelohnt.

Wolfgang Peter

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