Geschlossene Gesellschaft
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Personen
Inés | Nikolina |
Estelle | Veronika Kerschbaum |
Garcin | Josef Unger |
Der Kellner | Florian Dubois |
Inhalt
Die geschlossene Gesellschaft - das sind drei Tote, unentrinnbar für immer zusammengesperrt in einem scheußlichen Empirezimmer, wo das Licht ewig brennt und keine Sekunde Schlaf gegönnt wird. Garcin, ein Journalist, hat seine Frau in den Tod getrieben und als Politiker in entscheidender Situation feige versagt. Die lesbische und zugleich hochintellektuelle Ines hat eine junge Frau ihrem Mann entfremdet, bis diese zutiefst verzweifelt sich selbst und Ines mit Gas vergiftet hat. Die sinnlich verführerische Estelle hat ihr Kind ermordet und ihren Geliebten in den Tod getrieben. Die Hölle, in der diese drei Verdammten schmoren, bedarf keiner Bratroste und keines sengenden Feuers - sie sind einander selbst Hölle genug. Jeder ist verdammt dazu, die anderen beständig zu quälen und selbst von den anderen gequält zu werden. Die lesbische Ines verzehrt sich nach Estelle, die aber nichts von ihr wissen will und sich an Garcin heranmacht. Garcin wiederum lechtzt nach der intellektuellen Anerkennung von Ines. So dürstet jeder nach der Hilfe eines der beiden anderen, aber sich diesem nähernd, verletzt er zugleich zutiefst den anderen. Sie können weder voneinander lassen, noch voreinander fliehen, nicht einmal töten können sie sich - sie sind bereits tot! Und so gilt auf ewig: "Die Hölle, das sind die anderen".
Jean-Paul Sartre über Geschlossene Gesellschaft
„Wenn man ein Stück schreibt, gibt es immer bestimmte Anlässe und tiefere Gründe. Der Anlaß war der, daß ich, als ich um 1943 und Anfang 1944 Geschlossene Gesellschaft schrieb, drei Freunde hatte, und ich wollte, daß sie ein Stück spielen, ein Stück von mir, ohne daß einer von ihnen dabei bevorzugt wäre. Das heißt, ich wollte, daß sie die ganze Zeit auf der Bühne zusammenbleiben. Denn ich sagte mir, wenn einer abgeht, wird er denken, daß die anderen eine bessere Rolle haben, sobald er abgeht. Ich wollte sie also zusammen behalten. Und ich habe mir gesagt, wie kann man drei Personen zusammenbringen, ohne daß man eine von ihnen hinausgehen läßt, und sie bis zum Schluß für alle Ewigkeit auf der Bühne behalten.
Da kam mir die Idee, sie in die Hölle zu setzen und jede von ihnen zum Folterknecht der beiden anderen zu machen. Das war der Anlaß.
Ich muß übrigens sagen, daß danach die drei Freunde das Stück nicht gespielt haben, und wie Sie wissen, haben Vitold, Tania Balachova und Gaby Sylvia es gespielt.
Aber es gab damals auch allgemeinere Gründe, und ich habe in dem Stück etwas andres zum Ausdruck bringen wollen als lediglich das, was mir der Anlaß bot. Ich wollte sagen: Die Hölle, das sind die andern. Aber dieses «Die Hölle, das sind die andern» ist immer falsch verstanden worden. Man glaubte, ich wolle damit sagen, daß unsere Beziehungen zu andren immer vergiftet sind, daß es immer teuflische Beziehungen sind. Es ist aber etwas ganz andres, was ich sagen will. Ich will sagen, wenn die Beziehungen zu andern verquer, vertrackt sind, dann kann der andre nur die Hölle sein. Warum? Weil die andren im Grunde das Wichtigste in uns selbst sind für unsere eigene Kenntnis von uns selbst. Wenn wir über uns nachdenken, wenn wir versuchen, uns zu erkennen, benutzen wir im Grunde Kenntnisse, die die andern über uns schon haben. Wir beurteilen uns mit den Mitteln, die die andern haben, uns zu unserer Beurteilung gegeben haben. Was ich auch über mich sage, immer spielt das Urteil andrer hinein. Was ich auch in mir fühle, das Urteil andrer spielt hinein. Das bedeutet, wenn meine Beziehungen schlecht sind, begebe ich mich in die totale Abhängigkeit von andren. Und dann bin ich tatsächlich in der Hölle. Und es gibt eine Menge Leute auf der Welt, die in der Hölle sind, weil sie zu sehr vom Urteil andrer abhängen. Aber das heißt keineswegs, daß man keine andren Beziehungen zu den andren haben kann. Es kennzeichnet nur die entscheidende Bedeutung aller andren für jeden von uns. Das zweite, was ich sagen möchte, ist, daß diese Leute nicht wie wir sind. Die drei Personen, die Sie in Geschlossene Gesellschaft hören werden, sind insofern nicht wie wir, als wir lebendig und sie tot sind. Natürlich, «tot» symbolisiert hier etwas. Ich wollte einfach zeigen, daß viele Leute in einer Reihe von Gewohnheiten und Gebräuchen verkrustet sind, daß sie Urteile über sich haben, unter denen sie leiden, die sie aber nicht einmal zu verändern versuchen. Und diese Leute sind wie tot. Insofern sie den Rahmen ihrer Probleme, ihrer Ambitionen und ihrer Gewohnheiten nicht durchbrechen können und daher oft Opfer der Urteile bleiben, die man über sie gefällt hat. Von daher ist ganz evident, daß sie zum Beispiel feige oder bösartig sind.
Wenn sie angefangen haben, feige zu sein, so wird nichts die Tatsache ändern, daß sie feige waren. Deswegen sind sie tot, deswegen, damit soll gesagt werden, daß es ein lebendiges Totsein ist, wenn man von der ständigen Sorge um Urteile und Handlungen umgeben ist, die man nicht verändern will. So daß ich also, da wir ja lebendig sind, durch das Absurde die Bedeutung der Freiheit habe zeigen wollen, das heißt der Veränderung des Handelns durch andre Handlungen. In welchem Teufelskreis wir auch immer sind, ich denke, wir sind frei, ihn zu durchbrechen. Und wenn die Menschen ihn nicht durchbrechen, dann bleiben sie, wiederum aus freien Stücken, in diesem Teufelskreis. Also begeben sie sich aus freien Stücken in die Hölle.
Sie sehen also, Beziehungen zu den andren, Verkrustung und Freiheit, Freiheit als die nur angedeutete andre Seite, das sind die drei Themen des Stücks. Ich möchte, daß man sich daran erinnert, wenn man den Satz hört: Die Hölle, das sind die andern.
Ich will zum Schluß noch hinzufügen, daß mir 1944 bei der ersten Vorstellung ein ganz seltenes Glück beschieden worden ist, ein für Bühnenautoren ganz seltenes, nämlich daß die Figuren von den drei Schauspielern und auch von Chauffard, dem Höllenkellner, der ihn seitdem immer gespielt hat, so verkörpert worden sind, daß ich mir meine eignen Vorstellungen nicht mehr anders denken kann als mit den Zügen von Vitold, Gaby Sylvia, Tania Balachova und Chauffard. Inzwischen ist das Stück von anderen Schauspielern wiedergespielt worden, und ich möchte vor allem sagen, daß ich Christiane Lenier gesehen habe, als sie es spielte, und daß ich sie als eine ausgezeichnete Ines sehr bewunderte.“ (Lit.: Jean-Paul Sartre, Geschlossene Gesellschaft, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1986, S 60 ff.)
Die Hölle, das sind die andern
„Die Hölle, das sind die andern — insofern , als man sich von Geburt an in einer Situation, in die man geworfen wurde, befindet, eine Situation, die einen zwingt, sich unterzuordnen. Sie können als Sohn eines Reichen oder eines Algeriers oder eines Arztes oder eines Amerikaners zur Welt kommen. Von Anfang an ist Ihre Zukunft vorgezeichnet, eine Zukunft, die andere für Sie geschaffen haben; die anderen haben Sie zwar nicht direkt geschaffen, aber Sie sind Teil einer Gesellschaftsordnung, die aus Ihnen macht, was Sie sind. Wenn Sie Sohn eines Bauern sind, dann zwingt die Gesellschaftsordnung Sie, in die Stadt zu gehen, wo Maschinen auf Sie warten, zu deren Bedienung Leute gebraucht werden wie Sie. Also ist es Ihr Schicksal, ein bestimmter Typ Arbeiter zu werden, ein Kind vom Land, das durch eine bestimmte Art kapitalistischen Drucks aus seinem Heimatort vertrieben wurde. Die Fabrik ist eine Funktion Ihres Seins, aber was ist es denn genau, Ihr "Sein"? Es ist die Arbeit, die Sie tun, eine Arbeit, die Sie völlig beherrscht, weil sie Sie verschleißt — während gleichzeitig Ihr Lohn es ermöglicht, Sie genau nach Ihrem Lebensstandard zu klassifizieren. Dies alles ist Ihnen von den anderen aufgezwungen worden. Die "Hölle" ist der angemessene Ausdruck, um diese Art Dasein zu beschreiben. Nehmen Sie doch nur ein Kind, das zwischen 1930 und 1935 in Algerien geboren wurde. Tod und Folter waren in sein Schicksal eingeschrieben. Auch das ist Hölle.“ (Lit.: Jean-Paul Sartre in einem Interview mit dem Magazin "Playboy", 1965)
In diesem Zusammenhang ist wohl auch Jean-Paul Sartre berühmte phänomenologischen Analyse des Blicks in seinem philosophischen Hauptwerk «Das Sein und das Nichts» von Bedeutung: „Das «Vom-Anderen-gesehen-werden» ist die Wahrheit des «den-Anderen-Sehens».“[1] Der Blick bzw. der wechselseitige Blickkontakt zweier Personen ist von zentraler Bedeutung für die nonverbale Kommunikation. Kaum eine andere Mimik offenbart so facettenreich das innere seelische Erleben. Deshalb gilt auch das Auge geradezu als Spiegel der Seele, durch den der Mensch den Anderen und zugleich auch sich selbst erkennt.
Einzelnachweise
- ↑ Jean-Paul Sartre: Das Sein und das Nichts, S. 343